Lektürennotizen Horst G. Flämig. Moderation.
Blauschmuck - Katharina Winkler
SCHMUCK DER MACHTLOSIGKEIT. OHNMÄCHTIG AUSGELIEFERT SEIN.
Ein weiser Mensch hat einmal gesagt: „Worte sind Sie wie Pfeile“. Erst einmal abgeschossen, kann man sie nicht mehr zurückholen. Jedes Wort erzeugt ein Bild in unserem Gehirn – es bewirkt Zustimmung oder Ablehnung - und führt zu entsprechenden Reaktionen.
Worte brechen das Schweigen. Und darin besteht der beachtliche Erfolg des Debütromans ‚Blauschmuck‘ der österreichischen Schriftstellerin Katharina Winkler.
Nach einer wahren Begebenheit erzählt Winkler vom Ausbruch einer Frau aus einer archaischen muslimischen Männerwelt. Die Geschichte von Filiz, die in einem kurdischen Dorf aufwächst, heiratet und später mit ihren Kindern nach Österreich ausreist. Sie erzählt von einem Martyrium in einer Ehe, das erst in der neuen Heimat endet, nachdem Nachbarn dafür sorgen, dass Filiz in ein Krankenhaus kommt, nachdem sie nicht nur, wie in ihrer Ehe alltäglich, geschlagen und vergewaltigt, sondern zusammengetreten worden ist.
Dabei erzählt Winkler ausschließlich aus der Wahrnehmung der jungen Frau heraus.
Österreich im Jahr 1998, irgendwo an der Donau: „Er zertrümmert den Nachttisch, den Rahmen des Bettes, die Bilder der Kinder fallen von der Wand. Er bricht meine Arme, die Rippen. Er bricht mir das Nasenbein, bricht mir beide Kiefer. Schläge fallen von der Decke. Schläge fallen von den Wänden, Schläge kriechen aus den Ritzen am Boden. (…) Du schlägst mich tot, aber du kommst mir nicht nah.“
Mit dieser Gewaltszene endet die Geschichte. Und von diesen Szenen gibt es im Roman etliche.
Wie kann ein Mann so brutal sein? Er hat ein Herz, er weint, nachdem er seine Frau einmal wieder zusammengeschlagen hat und ihren leblosen Körper ins Bett trägt. Er liebt sie, er braucht sie, sagt er, um sie bei nächster Gelegenheit wieder auf brutalste Weise zu erniedrigen, zu zerstören.
Ein erschütternder Roman, der angesichts der Debatte um physischer, psychischer und sexueller Gewalt auf erschreckende Art und Weise in unsere Zeit passt.
Blauschmuck könnte ein wunderschöner Saphir sein oder eine Kette aus afghanischem Lapislazuli. Doch dem ist nicht so. Blauschmuck tragen in dem kleinen Dorf, in dem Filiz aufwächst fast ausnahmslos alle Frauen. Am ganzen Körper, hellblau, dunkelblau, blau-rot, blau-schwarz. In den unterschiedlichsten Farbvarianten. Als Folge der fürchterlichen Schläge, denen die Frauen ausgesetzt sind.
Das Werkzeug, Holz oder Eisen, und die Anzahl der Schläge bestimmt den Blauton, heißt es lapidar.
Fast zehn Jahre hat es gedauert, bis die 1979 in Oberösterreich aufgewachsene Katharina Winkler, die Germanistik und Theaterwissenschaft studierte, die Sprache für diesen gewaltigen Roman fand. Anfang zwanzig war sie, als sie in der Landarztpraxis ihres Vaters der vollkommen verschleierten Frau begegnete, deren Leidensgeschichte ‚Blauschmuck‘ erzählt. Die in Gesprächen mit der Frau entstandenen Tonbandaufnahmen, insgesamt über 60 Stunden, hat die Autorin in einem einzigartigen und mehrfach ausgezeichneten Roman komprimiert.
Winkler wählt eine reduzierte, karge und harte Sprache, wuchtig wie die unerbittlichen Schläge mit dem Holzscheit, denen Filiz und die anderen Frauen im Dorf ausgesetzt sind.
Einfache Hauptsatzreihen bilden eine kunstvolle, literarische Sequenz. Es entsteht ein gewaltiger Sog, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Harte Schnitte. Klarer, karger Sprachrhythmus.
Filiz‘ Hochzeit ist eine Orgie alkoholisierter Männer. Die Entjungferung ein Massaker.
„Vor dem Haus stehen Männer, sie rauchen und warten ungeduldig auf Yunus und den Beweis seiner Männlichkeit. Sie rufen und pfeifen. Es ist kalt draußen, zu kalt für zwei Zigaretten.
Endlich rinnt mir das Blut zwischen die Beine. Yunus hat meine Jungfrau erlegt. Dunkler Fleck auf weißem Laken. Yunus küsst mich, Reglose, stolz auf die Stirn. Er legt das Laken in einen Korb, den seine Mutter, die nun meine Mutter ist, ihm gegeben hat.
Kante auf Kante, Blutfleck nach oben.
Die Wölfe fressen die Schafe, sie weiden sie aus. Sie wühlen in den Gedärmen. Lunge, Darm, Leber, Milz, Herz, Jungfrau.
Yunus geht mit dem Korb über das Fest und stellt meine Jungfrau zur Schau.
Ich liege still und angetastet.
Braut ich.“
Katharina Winkler
Katharina Winkler (geboren 1979 in Wien). Österreichische Autorin und Schauspielerin.
Winkler studierte von 1997 bis 2002 Germanistik, Theater- und Musikwissenschaft an der Universität Wien. Am Bruckner Konservatorium Linz studierte sie Schauspiel, Gesang und Ballet.
Sie veröffentlichte 2016 bei Suhrkamp ihren Debütroman Blauschmuck, der zur Gänze auf wahren Begebenheiten beruhe.
Foto: © Stefan Klüter | Suhrkamp Verlag
Das Schockierende an dieser Geschichte ist, dass Filiz‘ Leid keinen Einzelfal darstellt, sondern in ihrer Herkunftsgesellschaft offenbar gängige Praxis darstellt.
Zu den erschütterndsten Passagen des Romans zählen jene, in denen ersichtlich wird, dass die Frauen des Dorfs die Vergewaltigungen schweigend erdulden und die Wunden, die ihnen zugefügt werden, in ihrer Hilflosigkeit als Auszeichnung zur Darstellung bringen. Und jene Frauen ächten, die einen unverwundeten Körper haben.
Auch Filiz wünscht sich als kleines Mädchen einmal ‚eine blaue Frau‘ zu werden.
Der Roman beinhaltet wohl auch gefährliches Potential. Vorurteile gegen die frauenverachtende Rückständigkeit von Muslimen finden nur allzu leicht ihre Bestätigung. Das Klischee einer rückständigen, patriarchalischen Kultur kann bei vielen Lesern durchaus erzeugt werden. Gleichzeitig entsteht aber auch eine tiefe Identifikation mit der Protagonistin.
Ein heftiger und aufwühlender Roman. Eine Poesie der Ohnmacht. Ein Wechselspiel von Nähe und Distanz, von Träumen und Massakern. Von vermeintlicher Liebe und Vergewaltigung. Von massiver Gewalt. Von archaischen Mustern. Von dem unerschöpflichen Durchhaltewillen. Von dem Glauben an das Leben.
Das Nachwort der Autorin ist eine Befreiung und eine Erleichterung.
Horst G. Flämig – 01/08/2017 - Selten übte ein Roman eine solch unerträgliche Sogwirkung auf mich aus.
Blauschmuck
Filiz wächst in einem kurdischen Dorf in der Türkei auf. Sie ist zwölf, als sie sich in den um wenige Jahre älteren Yunus verliebt und mit ihm von einem gemeinsamen Leben im Westen träumt: »›Wie wollen wir leben, Yunus?‹ / ›In Jeans. Wir werden Jeanshosen tragen. In Deutschland.‹« Mit fünfzehn heiratet sie Yunus – heimlich und gegen den Willen ihres Vaters. Doch mit der Hochzeit platzen auch die Träume von Freiheit und Autonomie: Statt Jeans trägt Filiz jetzt Burka; gemeinsam mit den drei Kindern, die in dieser Ehe geboren werden, ist sie der körperlichen und seelischen Brutalität ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter ausgesetzt. Daran ändert auch die Emigration der Familie in den Westen nichts – vorerst. Denn nach einer neuerlichen Eskalation der Gewalt gelingt Filiz das vermeintlich Unmögliche: die Befreiung aus physischer und psychischer Abhängigkeit. Katharina Winklers Debütroman »Blauschmuck« beruht zur Gänze auf wahren Begebenheiten. Er macht die Abgründe von Abhängigkeit und brutaler Unterdrückung anschaulich und erzählt vom Leben einer Frau, in dem Liebe und Gewalt nicht nur untrennbar, sondern nicht mehr zu unterscheiden sind.